„Ab 17 Uhr werden die Deutschen zu Tschechen!“ 

Dr. Michael Maj im Interview 

Portraitfoto von Dr. Michael Maj
Dr. Michael Maj

Hallo Herr Dr. Maj, vielen Dank, dass Sie sich Zeit für uns nehmen. Wir steigen gleich mit der wichtigsten Frage ein: Wer sind Sie? Was möchten Sie uns über sich verraten? 

Guten Tag Frau Rehak, vielen Dank, dass ich heute hier sein und mich an dem Projekt beteiligen kann. Ich bin 34 Jahre alt und arbeite als Zahnarzt und Medizinjournalist. Meine Familie ist bereits in dritter Generation in der Zahnmedizin tätig. Außerhalb der Zahnmedizin bin ich im Familienunternehmen meiner Freundin in Österreich aktiv. Ich pendele daher sehr viel zwischen den Standorten Bremen und Oberösterreich.  

Meine Hobbys sind: Autos, Sport, Reisen – und Musik. Ohne Musik kann ich mir ein Leben nicht vorstellen. 

Was ist Ihre Verbindung zu Tschechien? 

Das hat mit meiner Familiengeschichte zu tun. Tatsächlich besteht meine Familie für mich vor allem aus drei Personen, meinen Großeltern und meiner Mutter. Meine Eltern haben sich sehr früh getrennt. Mein Großvater stammt aus Kroatien, aus der Nähe von Zagreb und hat in Prag an der Karls-Universität Zahnmedizin studiert. Meine Großmutter stammt aus Thammühl, von wo sie zu einem späteren Zeitpunkt vertrieben worden war. Meine Großeltern haben lange Zeit in Prag und Karlsbad gewohnt, bevor sie über Wien nach Friedrichshafen und anschließend nach Bremen gelangt sind.  

Welche Rolle spielt die tschechische Sprache in Ihrem Alltag?  

Ich kann fast alles verstehen, sowohl in Wort als auch in Schrift. Das aktive Sprechen fällt mir etwas schwerer.  

Ich möchte die Sprache aber unbedingt wieder selbst sprechen, da für mich die tschechische Sprache eine sehr große familiäre und emotionale Bedeutung hat und mit Deutsch und Englisch zusammen meine Muttersprache ist. 

Wann waren Sie zuletzt in Tschechien – und was war der Anlass?  

Das war im November ´22, im Deutsch-Tschechischen Salon im Schwarzen Schwan in Prag. Dort wurde die neueste Ausgabe des N&N-Magazins präsentiert. Ich kenne die Verlegerin Danuše Siering, weshalb ich zu dieser Veranstaltung eingeladen wurde. Dort war unter anderem auch Tomaš Kafka, der tschechische Botschafter aus Berlin, anwesend. Es war ein sehr schöner, inspirierender Abend.   

Was ist Ihrer Meinung nach typisch deutsch, was ist typisch tschechisch? Und was sind Gemeinsamkeiten?  

Etwas, das ich an Tschechien enorm positiv finde, ist der Humor. Das ist etwas, das die Tschech*innen für mich ausmacht. Und natürlich das gute Essen. Es gibt in Prag das tolle Restaurant „Zum Schwejk“. {1} 1Diese Figur steht für den typisch tschechischen Humor. Schwejk in Verbindung mit Essen vereint für mich die zwei Dinge, die ich an Tschechien großartig finde.  

Die Deutschen sind weniger für ihren Humor als für ihre Effizienz, Genauigkeit und Pünktlichkeit bekannt. Das klingt zwar ein bisschen klischeehaft, aber ich finde, einige dieser Klischees sind tatsächlich wahr – und an sich sind das ja auch positive Eigenschaften. 

Eine Gemeinsamkeit der beiden Nationen sehe ich in der Liebe zum Sport. Bei den Deutschen ist es der Fußball, in Tschechien das Eishockey. Außerdem schätzen sowohl Deutsche als auch Tschechen ein gutes Bier und gute Hausmannskost – und alles, was damit in Verbindung steht: Treffen mit Freunden, gemeinsame Sportabende oder Kneipenbesuche, ein lebendiges Zusammenkommen.  

Die Deutschen brauchen für diese Stimmung aber den Feierabend. Man könnte sagen: Ab 17 Uhr werden die Deutschen zu Tschechen!   

Das Verbindende: Gibt es etwas, das Menschen aus Tschechien und Deutschland voneinander lernen können / sollten?  

Die Deutschen könnten von Menschen aus Tschechien lernen, mehr zu lachen. Die Deutschen haben für alles einen Plan, und am besten noch einen Plan B, falls Plan A nicht klappen sollte. Ich finde, Menschen aus Tschechien sind viel mehr Überlebenskünstler*innen, sie sind nicht immer so durchgeplant, können aber gerade deswegen gut improvisieren, gehen spontaner und vor allem auch kreativer an die Dinge heran.  

Im Großen und Ganzen denke ich aber: Man sollte die Menschen so sein lassen, wie sie sind. Jede Nation hat ihre Eigenheiten und das ist auch gut so. 

Suchen Sie sich bitte eine der beiden Sprachen aus:  Was ist Ihr Lieblingswort auf Deutsch bzw. auf Tschechisch – und warum?  

Hier würde ich gern mit einem ganzen Satz antworten bzw. mit einem Sprichwort: „Bez peněz do hospody nelez“ (dt.: „Du sollst nicht ohne Geld in eine Kneipe gehen.“) 

Die Tschech*innen werden sicher sofort verstehen, was ich meine, den deutschen Leser*innen muss man es vermutlich kurz erklären. Ich kenne von meinem Großvater die Geschichte, dass er, als er noch jung war, mit Freunden in eine Kneipe gegangen ist und einer der Freunde hatte kein Geld dabei. Es war damals ganz selbstverständlich, dass die Freunde zusammengelegt haben, damit derjenige ohne Geld trotzdem dabei sein konnte. Einen Freund zuhause zu lassen, wäre undenkbar gewesen. Der Vater meines Großvaters hatte ihm früher gesagt, dass er immer Geld bei sich haben soll, um für solche Momente vorbereitet zu sein. Als ich dann jugendlich wurde, wurde mir die Geschichte wiederum von meinem Großvater erzählt. Der Spruch kann sich ganz konkret auf die Kneipensituation beziehen, kann aber auch davon losgelöst sein und generalisiert werden. „Geh nicht ohne Geld in die Kneipe“ heißt im übertragenen Sinne: „Sei auf gewisse Situationen wenigstens ein bisschen vorbereitet – und sei es auch nur, damit du deinen Freund auf ein Bier einladen kannst.“ Ich finde, darin spiegelt sich auch das für mich sehr tschechische Thema Gemeinschaft und Genuss wider.  

Ausblick für die Zukunft: Denken Sie, beide Länder sollten noch mehr in den Austausch gehen, ihre Verbindung zueinander verstärken, auch im Sinne eines gemeinsamen europäischen Gedankens? Haben Sie einen Wunsch / eine Vision, wie das aussehen könnte?  

Tatsächlich finde ich, dass diesbezüglich bereits einiges unternommen wird. Es wird gemeinsam an Projekten gearbeitet, besonders in Grenzregionen. Die Deutschen fahren gerne nach Tschechien, um zum Beispiel in Prag ein schönes Wochenende zu verbringen. Ebenso besuchen auch Tschech*innen gerne deutsche Städte. Aus meiner Sicht entwickelt sich alles in die richtige Richtung. Die Kommunikation funktioniert, politisch gibt es keinen Druck, die beiden Länder haben bereits eine sehr positive Verbindung. 

Vielen Dank, Herr Dr. Maj! 


  1. „Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk“ ist ein unvollendeter antimilitaristischer Roman von Jaroslav Hašek, geschrieben in den Jahren 1920 – 23. Die Hauptfigur Schweijk ist ein satirisch überzeichneter Charakter, der mit Humor und auch einer gewissen Dreistigkeit auf Missstände in der Armee aufmerksam macht.    ↩︎

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