Magdaléna Starková im Interview
Hallo Magdaléna, schön, dass du dir die Zeit nimmst. Wir beginnen mit der Frage zu deiner Person. Wer bist du? Was magst du Menschen über dich verraten?
Ich bin Übersetzerin, Autorin, Lyrikerin, Projektkoordinatorin und vor allem ein Jack of All Trades and Master of None. Ich bin ein Silberfischchen und lebe in den dunklen, feuchten Spalten zwischen den Kulturen und den Sprachen. Dort fühle ich mich auch wohl. Ich bin 40 (wann ist das denn passiert?), und außer mit Literatur und Sprachen beschäftige ich mich mit internationalen Projekten, Erinnerungskultur und Eventmanagement. Wenn ich Zeit habe, reise ich gerne und singe im Chor. Sobald ich wieder auf der tschechischen Seite der Grenze bin, hole ich meine Gitarre aus dem Gigbag und leite das gemeinsame Kneipenbrüllen an. In Bremen bin ich zu einer stolzen Findorfferin mutiert, und man findet mich regelmäßig auf dem Findorffer Wochenmarkt. Es gibt kaum Bilder von mir, auf denen ich nicht entweder eine Gitarre ODER einen Hund dabei habe. Weird Fact: Ich besitze 400 Vintage-Teddybären, die ich auch selber restauriere. Even Weirder Fact: alle haben einen Namen. MICH wiederum besitzen zwei kleine Hundedamen. Beruf: Dosenöffnerin.
Was ist deine Verbindung zu Tschechien?
Ich bin gebürtige Tschechin und habe in Tschechien die formativen Jahre meines Lebens verbracht. Erst nach dem Studium habe ich das Land verlassen, auch wenn dies nicht ganz stimmt, denn ich komme immer wieder zurück und fühle mich in beiden Ländern gleichmäßig zu Hause.
Wann warst du zuletzt in Tschechien – und was war der Anlass?
Eigentlich vor einem Monat – ich habe einen Choraustausch zwischen meiner Heimatstadt Olomouc und Bremen organisiert und begleitet. Sonst ist aber jeder Anlass gut, und wenn es den nicht gibt, erfinde ich schnell einen.
Was ist deiner Meinung nach typisch deutsch, was ist typisch tschechisch? Und was sind Gemeinsamkeiten?
Es gibt wohl irgendein Buch über die deutsch-tschechische Zusammenarbeit und es heißt ungefähr so: „Präzise geplant und genial improvisiert“. Ich glaube, das trifft es eigentlich ganz gut. Dadurch, dass wir alle aber doch eher Europäer sind, ein jeder von uns ein Homo Erasmus, werden die Unterschiede immer kleiner. Außerdem: Was ist schon typisch deutsch? Was hat denn ein Bayer mit einem Fischkopp zu tun? Ich glaube, wir sind durch eine gemeinsame Geschichte geprägt – wie turbulent und heikel die auch sein mag. Ich finde, man konzentriert sich immer so sehr auf die Unterschiede, aber eigentlich überwiegen die Gemeinsamkeiten. Man sieht sie nur nicht so bewusst. Ich nenne es mal – als Arbeitsbegriff – mitteleuropäische Kultur. Was man in Deutschland allerdings nicht beobachtet, ist der typisch tschechische Schwejkismus und die Art, sich selber nicht so ernst zu nehmen. In Tschechien fehlt wieder der „Ernst des Lebens“. Die Eltern drohen einem zwar ständig damit, aber ernst nehmen wir fast nichts – selbst das nicht, was es durchaus verdienen würde, ernstgenommen zu werden.
Das Verbindende: Gibt es etwas, das Menschen aus Tschechien und Deutschland voneinander lernen können?
Sie sollen, glaube ich, vor allem etwas gemeinsam lernen – nämlich Dialog mit offenen Augen und offenem Herzen. Man lebt immer noch in stereotypischen Vorstellungen, aber das Leben ist in Wirklichkeit viel bunter. Was die Tschechen von den Deutschen lernen könnten, ist die Wertschätzung künstlerischer Arbeit, und die Deutschen könnten von den Tschechen wiederum die Flexibilität und den Ideenreichtum übernehmen, mit denen „inoffizielle“ Kultur zu Wege gebracht wird. Dieses „Komm, lass uns mal gemeinsam was machen“ – es ist vielleicht verrückt, aber cool. Und noch eine Sache könnten die Tschechen von den Deutschen lernen: politische Kultur und kultivierte Diskussion. Und auch dieses „Leben und leben lassen“ – die Weisheit, mit der man begreift, dass nicht alles mein Business ist, dass ich Menschen einfach auch sein lassen kann, selbst, wenn ihre Lebensweise mir persönlich nicht passt. Die Deutschen wiederum könnten von den Tschechen etwas mehr Geselligkeit lernen – dazu ein wenig Gemeinschaftsdenken und eine gewisse Informalität. Diese egalitäre Kneipenatmosphäre …
Suchen dir bitte eine der beiden Sprachen aus: Was ist dein Lieblingswort auf Deutsch bzw. auf Tschechisch – und warum?
Oh, das ist schwierig. Nur eins?
Auf Deutsch: „jein“, weil das Wort so schön die unsichere Lebensrealität beschreibt.
Auf Tschechisch: das ist sehr wechselhaft. Im Moment oszilliert es zwischen „laskavost“ (etwa: „Freundlichkeit“, Anmerkung der Redaktion) und „přizdisráč“. Die Übersetzung ist tatsächlich schwer. Es ist eine – leicht vulgäre – Bezeichnung für einen Menschen, der sich nichts Großes traut und zugleich auch irgendwie zu angepasst und (manchmal) kleinkariert ist. Für mich persönlich ist dieses Wort ein Memento. Im Sinne von: aha, das möchte ich nie werden. Oder aber: Ohauahauaha! Bin ich das doch mit den Jahren geworden?
Außerdem ist es so ein schöner, irgendwie poetischer, Kraftausdruck, der zugleich diese ganz informelle Kultur widerspiegelt und diese spielerische Metapher in sich hat. Das mag ich daran.
Ausblick für die Zukunft: Denkst du, beide Länder sollten noch mehr in den Austausch gehen, ihre Verbindung zueinander verstärken, auch im Sinne eines gemeinsamen europäischen Gedankens? Haben Sie einen Wunsch / eine Vision, wie das aussehen könnte?
Absolut. Ich versuche mich mit allem, was ich habe, mit dem ganzen Leben, dafür einzusetzen, dass die Kontakte enger und positiver werden und wir und von den alten Stereotypen trennen. Das, was uns das 19. Und 20. Jahrhundert eingebrockt hat, räumen wir immer noch auf; dabei habe ich jedoch das Gefühl, dass wir auf einem guten Weg sind. Und dann höre ich immer wieder euroskeptisches Kneipengelaber und denke mir: Verdammt, das lebt also immer noch in den Köpfen? Ich bin auf jeden Fall froh, dass ich eben als Homo Erasmus aufwachsen konnte – sehr europäisch verknüpft, mit Sprachen ausgestattet, mit Freunden aus verschiedenen Ecken des Kontinents und der Welt. Das ist eine extreme Bereicherung, die man wohl nie erreicht, wenn man nur in der eigenen Küche verkrochen bleibt. Und irgendwann merkt man, dass es überall nette Menschen gibt und eben auch Arschlöcher und dass es oft viel mehr Unterschiede gibt zwischen den Klassen als zwischen den Völkern. Auf jeden Fall glaube ich sehr daran, dass wir alle als Europa gemeinsam auftreten sollen, ohne dabei auf die eigene Tradition zu verzichten. Ich würde mir wünschen, dass wir – trotz Euroskepsis –nicht damit aufhören, diese Gemeinschaft aufzubauen. Und wenn dann auch noch Länder weiter östlich von uns dazukämen … das wäre ein Traum.
Oft denke ich an eine Reise, die ich in einem kleinen, klapprigen Bus unternahm: von Chernivtsi nach Chisinau. Das war noch vor dem Krieg. Neben mir saßen ältere Damen, diese ikonischen „Omis“, und alle haben mich enthusiastisch nach dem Leben in der EU gefragt. Alle wollten dazugehören. Daran denke ich oft, wenn ich höre, wie unsereiner manchmal über die EU meckert. Sicher, es gibt gewiss Sachen, die man kritisieren kann und die auch mir nicht so gut gefallen. Der größere Gedanke dahinter ist mir aber immer noch wichtiger als irgendeine Bürokratie. Ich würde also den Omis aus dem Bus wünschen, dass sie das noch erleben und dass sie keine Angst (aus bekannten Gründen) haben müssen. Und dass wir hier auch nichts fürchten müssen. Und nicht nur das: dass wir unsere Nachbarn nicht skeptisch, sondern freundlich betrachten. Und dass sich die Politik nach vorne und nicht zurück in die 1930er entwickelt. (Ok, dann wünsche ich mir noch den Weltfrieden und ein gezähmtes Einhorn. Wo kann ich das bestellen?)
Vielen Dank für das Interview!