Bremer Bündnis für deutsch-tschechische Zusammenarbeit

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Claudia Richter

Foto: Manja Herrmann

Claudia Richter wurde in Radebeul geboren. Anfang der 1980er Jahre studierte sie Architektur und erkannte bereits im Studium, dass sie sich in der DDR als Architektin nicht würde entfalten können. Nach ihrem Abschluss wurde sie in einer Baufirma tätig, in der sie als Repressionsmaßnahme nach ihrem Ausreiseantrag 1988 keine größeren Projekte mehr erhielt. In die bundesdeutsche Botschaft nach Prag floh sie nicht mit, da sie schwanger war und ihr dreijähriges Kind betreute. Nachdem sich herausstellte, dass ihr Mann nicht mit seinem Bruder wie geplant unmittelbar nach der Registrierung in der Botschaft zurückkehren würde, bildete sie eine Solidargemeinschaft mit ihrer Schwägerin und deren Kindern.

Nach ihrer Ausreise in den Westen arbeitete sie als Architektin weiter. 1998 entschloss sich die Familie zur Rückkehr nach Dresden. Dort lebt Claudia Richter bis heute und arbeitet mittlerweile als Innenarchitektin.

Wie war das eigentlich für dich, als ihr über das Radio mitbekommen habt, dass sich die Menschen in der bundesdeutschen Botschaft in Prag versammeln und dein Mann gesagt hat, er fährt dorthin?

Wir haben gar nicht viel Zeit gehabt, das wirklich zu durchdenken. Wir haben es als Chance gesehen. Es war aber von Anfang klar, dass ich nicht mitgehe. Das habe ich auch von Anfang an so beschlossen. Auch dadurch, dass die Männer gedacht haben: Wir fahren da rüber, lassen uns registrieren und sind abends wieder da. Wolfram hat das mit seinem Bruder gemacht und ich bin in der Zeit mit meiner Schwägerin zusammen gewesen und wir haben uns zusammengehalten. Sie hatte zwei kleine Kinder und wir haben uns gesagt: Wir harren hier aus. Ihr müsst aktiv werden und wir sehen, wie wir es schaffen nachzukommen.

Das heißt, dann hast du mit deiner Schwägerin eine Art Solidargemeinschaft gebildet?

Ja, definitiv. Und ich muss [etwas] relativieren, das ist nicht ganz so einfach [gewesen]. Ihr habt vorhin [Wolfram] gefragt, wie hast du deine Frau informiert? Also, erstmal ging das zwei Tage überhaupt nicht und wir waren völlig im Ungewissen. Sie hätten schon an der Grenze verhaftet [worden] sein können. Und in Dresden hatten wir auch nur das Medium DDR-Fernsehen, nicht das Medium West-Fernsehen. Insofern haben wir nur versucht, über [die „Aktuelle] Kamera“ oder Berichte was zu sehen oder jemanden zu entdecken. Wir haben krampfhaft versucht, uns irgendwie zu orientieren. Ansonsten waren wir völlig ahnungslos [und] haben uns Riesensorgen gemacht. Wir waren zwei Frauen mit drei Kindern und wussten überhaupt nichts. Und dann kommt noch [dazu]: Telefone hatten wir alle nicht. Und wen soll Wolfram anrufen? Insofern war das alles nicht so einfach. Wolfram hat dann aber einen Arbeitskollegen von mir angerufen, der mir am nächsten Tag einen kleinen Zettel in die Hand gedrückt hat, auf dem stand: Uns geht es gut. Es war aber nicht ganz so einfach, jemanden zu finden und anzurufen [und zu sagen]: Hey wir sind in der Botschaft und alles ist gut. Insofern hatten wir schon drei sehr harte Tage durch, aber [wir] haben uns aneinandergeklammert und hatten die Kinder und haben uns gesagt: Wir müssen geradeaus denken.

Hattest du dir Gedanken darüber gemacht, was passiert, wenn dein Mann nicht mehr wiederkommt?

Ja, natürlich. Da geht dir alles durch den Kopf, wie, er ist im Knast und die nächsten Jahre bleibt er dort. Die ganze Entwicklung war zu der Zeit noch nicht abzusehen. […] Von der deutschen Einheit hat damals keiner zu träumen gewagt. Selbst nach der Grenzöffnung war das Ganze ein Schockzustand. Deswegen sind wir ausgereist, weil keiner wusste: Ist das im nächsten Monat auch noch so oder ist es dann wieder dicht? Insofern ja, in deinem Kopf geht alles vor. Aber ich sage mal so, wir waren auch keine 20 [mehr]. Wir waren 30 und hatten Kinder, du hast in gewisser Weise auch für [sie] funktionieren müssen und hast dir gesagt: [Wir] versuchen einen ganz normalen Tagesablauf [beizubehalten] und versuchen [uns an] Regeln zu halten und abzuwarten, nach vorne zu gucken und zu funktionieren. Für deine Kinder.

Hattest du denn Vertrauen in die Bundesrepublik und in das Verfahren über die Rechtsanwälte Wolfgang Vogel und Gregor Gysi?

Also, was und wie die Verfahrensweisen waren oder [wie diese] dann gekommen sind, das konnten wir gar nicht abschätzen. Aber für uns war das Allerwichtigste, dass du nicht irgendwo anonym ohne Kenntnis[nahme] der Bundesrepublik oder der Organe dort gefasst wirst, verhaftet wirst und so weiter. Das Wichtigste war für uns eine Registrierung. Dass sie deinen Namen hatten, dass sie deine Anschrift hatten und man nachvollziehen konnte, was mit den Menschen passiert. Dass man also nicht einfach von der Straße weg verhaftet werden konnte. Insofern ja, haben wir das Vertrauen gehabt und das Wichtigste war eben, irgendwo registriert zu sein, dass du nicht anonym weggesperrt werden konntest.

Hat sich deine Einstellung gegenüber der DDR verändert, als du ein Kind bekommen hast und als du noch einmal schwanger geworden bist?

Definitiv, denn da sind wir genau bei dem Punkt: Wir waren nicht 20, als wir das entschieden haben. Insofern, zehn Jahre eher hätten wir das nicht gemacht. Wir haben studiert, wir haben gearbeitet, wir haben angefangen uns eine Familie aufzubauen. Wir haben aber keine Zukunft gesehen und vor allem, haben wir keine Zukunft für unsere Kinder gesehen. […] Das, was wir getan haben, haben wir auch ganz fest für unsere Kinder getan. Und ich weiß [noch], dass ich auf [der] Arbeit, als wir dann den Ausreiseantrag gestellt hatten, natürlich sofort Rede und Antwort stehen [musste] und [ich] zu einem Gespräch geführt worden bin. Dort hieß [es]: Aber du hast doch einen kleinen Sohn und du erwartest noch ein Kind. Und da hab ich gesagt: Ja, genau das ist der Grund. Deswegen machen wir das. Weil die Zukunft [wichtig ist] und die sollen unsere Kinder anders erleben können.

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